Die wiederholungen und ihre funktionen in hermann hesses erzahlung "Siddhartha" | Language and Culture. 2017. № 10. DOI: 10.17223/24109266/10/14

Die wiederholungen und ihre funktionen in hermann hesses erzahlung "Siddhartha"

The article describes some of the results of a study devoted to repetitions as stylistic means in Hermann Hesse's novel Siddhartha. The repetition is regarded as a figure with a universal character to which all types of repetitions count (repetitions of phonemes, morphemes, words and syntactic repetitions). All types and subtypes of repetitions in Hesse's Siddhartha are in detail cited. Finally, it is argued that the repetitions reveal in a prose text rich possibilities for functioning from emotional intensity / expressiveness to text-forming functions such as retardation or rhythm.

Die wiederholungen und ihre funktionen in hermann hesses erzahlung "Siddhartha".pdf Einleitung Die Wiederholung ist eines der wichtigsten Stilmittel der Sprache, was noch in der Antike bekannt war, wo die Wiederholung zu den rhetorischen Figuren neben Vergleich, Synekdoche, Hyperbel u.a. zum Verstarken und Schmucken der Rede gezahlt wurde. Heute wird die Wiederholung in der Linguistik aus verschiedener Sicht betrachtet: Meistens immer noch als Stilfigur, aber auch als ein grammatisches Mittel der Verbindung [1: 4-5], als ein textbildendes Mittel [2: 4-6; 3: 3] sowie als Stilfehler oder VerstoB gegen sprachliche Normen [4: 57-58]. Die Wiederholungen wurden zum groBten Teil anhand der poetischen Texte erforscht, erst spater wurde auf die Wie-derholung als Mittel zum Bilden eines schongeistigen Prosatextes aufmerk-sam gemacht [3: 7]. Die Wiederholungen lassen sich in allen Arten der Rede nachweisen, aber vor allem in der emotionalen Rede (schone Literatur, Pub-lizistik, gesprochene Sprache). In Bezug auf die schone Literatur ist der Begriff der Uberflussigkeit unzulassig in dem Sinne, dass die Abweichung vom erwarteten „normalen" Sprachgebrauch vollig bewusst mit einer hinweisenden oder verstarkenden Funktion vorgenommen wird [4: 58]. Man redet also von der gerechtfertig-ten Verwendung der Wiederholungen: Wahrend die Wiederholung der Information in nicht-schongeistigen Texten keine Neuheit mit sich bringt, so kann sie im schongeistigen Text relevant sein und von der kontextuellen Wichtigkeit der Information zeugen [5: 94]. Die Wiederholung kann auch einen besonderen Gegenstand bilden, der mit der sprachlichen Eigenart eines bestimmten Schriftstellers zusammenhangt. So ist z.B. bekannt, dass die Wiederholung als textbildendes Prinzip vielen Erzahlungen von W. Borchert zugrunde liegt [6: 7]. Allerdings wird heute von den Linguisten der Mangel an Arbeiten festgestellt, die sich mit der komplexen Analyse der Wiederholung auf der Textebene befassen, zumindest in der russischen Germanistik [6: 6]. Inzwi-schen kann dadurch die Rolle dieses Stilmittels in einem schongeistigen Text anders geschatzt und die traditionelle Betrachtung der Wiederholung damit erweitert werden. Die moglichen Fragestellungen waren dann: Welche Rolle spielt die Wiederholung beim Bilden eines zusammenhangenden Textes? Wie sind die Funktionen der Wiederholungen? Beschrankt sich ihr Funktio-nieren auf einzelne Textteile oder uberschreiten bestimmte Funktionen die Grenzen dieser Textteile und erreichen also die Ebene des ganzen Textes? In der vorliegenden Arbeit bemuhen wir uns, entsprechende Fragen zu beantworten, indem wir uns an Hermann Hesses Erzahlung „Siddhartha" (1922) wenden, in dem viele Belege fur verschiedenartige Wiederholungen geliefert werden. Typen der Wiederholungen Die Wiederholung ist eine komplexe sprachliche Erscheinung. In der linguistischen Literatur sind verschiedene Definitionen und Typologien der Wiederholungen zu finden. Versuchen wir die Definitionen zusammenzufas-sen, konnen wir folgendes sagen: Die Wiederholung ist eine absichtliche mehrmalige Verwendung der Spracheinheit einer linguistischen Ebene im Rahmen eines Textteiles. Man unterscheidet verschiedene Typen der Wiederholungen, je nach-dem, was als Grund fur die Typologie dient. Nach dem Grad der Vollstan-digkeit der wiederholten Einheit sind einfache und variierte Wiederholungen zu unterscheiden [2: 55]. Nach der Stellung im Text gibt es Kontakt- und Distanzwiederholungen: Die Ersteren fungieren im Rahmen eines Satzes (Mikrotext), die Letzteren aber im Rahmen einer hoheren Texteinheit, z.B. im Absatz (Makrotext) [2: 57]. Je nachdem, was wiederholt wird, sind auch verschiedene Typologien moglich. Die kritische Analyse der theoretischen Literatur hat gezeigt, dass meistens als Hauptkriterium fur die Typologien die Zugehorigkeit der sprachlichen Einheit zu der Sprachebene gilt. Jedoch ist hier keine Einheit der Meinungen zu sehen: Verschiedene Linguisten schlieBen in ihre Typolo-gien verschiedene sprachliche Erscheinungen oder dieselben ein, aber unter verschiedenen Bezeichnungen. Z.B. betrachtet Galperin die Anapher und die Epipher als selbstandige Wiederholungsfiguren (Wiederholungen der Wor-ter, Wortgruppen oder Satze, auch Wiederholungen der Laute) [7: 260-278], inzwischen zahlen sie bei anderen Linguisten zum Typ der syntaktischen Wiederholungen [8: 259; 9: 195] oder gar nicht zur Wiederholung auf Grund der Zugehorigkeit dieser Figuren zu den Erscheinungen des Parallelismus und der Symmetrie [10: 10]. Es variiert auch die Zahl der Untertypen der Wiederholungen in den Typologien von verschiedenen Verfassern. Fur unsere Arbeit ist ebenfalls die Typologie nach der Sprachebene relevant: Zu den Wiederholungen werden im weiten Sinne die Einheiten von allen Sprachebenen gezahlt, von der Wiederholung der Laute oder Lautkom-binationen bis zur Wiederholung der ganzen Satze [9: 193]. In dem Fall un-terscheiden wir die folgenden Typen der Wiederholungen: 1. Lautwiederholung; 2. Morphemwiederholung; 3. Wortwiederholung; 4. syntaktische Wiederholung. Im Weiteren wird diese Typologie detailliert, indem die Grundtypen erweitert werden. Wir gehen dabei davon aus, dass die Typologie nicht zu umfangreich und konsequent sein soll. Wir veranschaulichen sie durch die Belege aus „Siddhartha" (1518 wiederholte Spracheinheiten). Die detaillierte Typologie sieht folgendermaBen aus: 1. Lautwiederholung: Alliteration, Assonanz; 2. Morphemwiederholung: Polyptoton, Figura etymologica; 3. Wortwiederholung: Epizeuxis, Pleonasmus, Tautologie; 4. syntaktische Wiederholung: Anapher, Epipher, Leitmotiv, Paralle-lismus, Anadiplose, Kyklos, Polysyndeton. 1. Lautwiederholung Zu der Lautwiederholung gehoren die Alliteration und die Assonanz. Unter der Alliteration versteht man den gleichklingenden Anlaut der betonten Silben innerhalb einer Wortgruppe [11. S. 29]. Die Alliteration ist auch ein Prinzip der altgermanischen Versgliederung [8. S. 63]. Bis heute lebt sie noch in den Zwillingsformeln Die Worter in der Zwillingsformel konnen aus begrifflich verwandten Feldern stammen oder auch antonymi-sche Begriffe bezeichnen. Vgl.: Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, pilgernde As-keten, drei durre, erloschene Manner, nicht alt, noch jung, mit staubigen und blutigen Schultern, nahezu nackt von der Sonne versengt, von Einsamkeit umgeben, fremd und feind der Welt, Fremdlinge und hagere Schakale im Reich der Menschen. [12: 13] Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane von neuem auf, tat Schritte hin und her, trat vor das Haus, sah den Mond aufgegangen. [12: 15] Die Assonanz, die im Deutschen seltener gebrauch wird, ist der Gleichklang der inlautenden Vokale, meistens bei Verschiedenheit der Kon-sonanten [8: 63]. Wenn aber die Konsonanten ubereinstimmen, kann auch der Endreim in der Formel hinzukommen. Vgl.: Wo war der Kundige, der das Daheimsein im Atman aus dem Schlafe heruberzauberte ins Wachsein, in das Leben, in Schritt und Tritt, in Wort und Tat? [12: 11] 2. Morphemwiederholung Die Morphemwiederholung grundet sich auf die Prinzipien der Flexion und der Wortbildung und wird in das Polyptoton und die figura etymolo-gica eingeteilt. Das Polyptoton (griech. „viel verandert") ist als eine Stilfigur bekannt, bei der ein Wort in verschiedenen Flexionsformen wiederholt wird [9. S. 196]. Ein klassisches Beispiel ist hier die genitivische Steigerung mit geho-bener Stilfarbung. Vgl.: Warum war Gotama einst, in der Stunde der Stunden, unter dem Bo-Baume niedergesessen, wo die Erleuchtung ihn traf? [12: 53] Das Wesentliche aber, den Weg der Wege, finden wir nicht. [12: 23] Der andere Untertyp der Morphemwiederholung ist die figura etymo-logica. Unter dieser Wiederholungsfigur versteht man die Zusammenfugung zweier Worter zu einem Ausdruck, dabei wiederholt das zweite Wort (ein Verb) den Wortstamm des ersten Wortes in veranderter Flexion [11: 200]. Siddhartha schwieg, und sie spielten das Spiel der Liebe, eines von den dreifiig oder vierzig verschiedenen Spielen, welche Kamala wufite. [12: 78] 3. Wortwiederholung Die Wortwiederholung (anders die lexikalische Wiederholung) besteht im mehrfachen Gebrauch eines Wortes oder einer Wortgruppe, also einer wortlichen oder aber auch einer synonymischen Wiederholung. Die lexikali-schen Wiederholungen beinhalten Untertypen wie die Epizeuxis, den Pleo-nasmus und die Tautologie. Die Epizeuxis (griech. „nachdruckliche Wiederholung") ist eine wort-liche Wiederholung [9. S. 193], d.h. die Worter oder Wortgruppen folgen unmittelbar aufeinander, so dass dem Satz Nachdruck und Eindrucklichkeit verliehen wird. Vgl.: ...und alles war nicht den Blick seines Auges wert, alles log, alles stank, alles stank nach Luge, alles tauschte Sinn und Gluck und Schonheit vor, und alles war uneingestandene Verwesung. [12: 18] Bei der Epizeuxis ist die Stellung der wiederholten Einheiten jedoch nicht maBgeblich, es konnen auch andere Satzkomponenten dazwischen-kommen wie Konjunktionen, Anreden u.a. Vgl.: Lebe wohl, Hutte, lebe wohl, Flufi, lebe wohl, Siddhartha! [12: 142] Der Pleonasmus (griech. „Uberfluss") wird als „Hinzufugung eines gedanklich uberflussigen Ausdrucks, der im Gesagten schon enthalten ist" verstanden [13. S. 589]. Der Pleonasmus gehort zu den rhetorischen Figuren der Erweiterung und dient also zur Verstarkung der Aussage. Vgl.: ...und von ihnen erfuhren die Fahrmanner, dafi sie eiligst zu ihrem grofien Lehrer zuruckwanderten, denn es habe sich die Nachricht verbreitet, der Erhabene sei todkrank und werde bald seinen letzten Menschentod sterben, um zur Erlosung einzugehen. [12: 115] Wahrend beim Pleonasmus zwei verschiedene grammatische Wortarten wiederholt werden, sind bei der Tautologie (griech. „die gleiche Aussage", ver-wandte Verstarkungsfigur) zwei gleiche grammatische Wortarten zu sehen, gleiche Worter oder auch Synonyme, z.B. in einer Zwillingsformel, vgl.: Wird er nicht uppig werden, wird er nicht sich an Lust und Macht ver-lieren, wird er nicht alle Irrtumer seines Vaters wiederholen, wird er nicht vielleicht ganz und gar in Sansara verlorengehen? [12: 125] 4. Syntaktische Wiederholung Die syntaktische Wiederholung besteht in der Wiederholung der syn-taktischen Struktur oder ihres Teiles und kann verschiedenartig sein. Hier konnen die folgenden Untertypen unterschieden werden: Die Anapher, die Epipher, das Leitmotiv, der Parallelismus, die Anadiplose, der Kyklos und das Polysyndeton. Die Anapher (griech. „das Hinauftragende") ist die Wiederholung gleicher Worter oder syntaktischer Strukturen am Beginn aufeinanderfol-gender Satze (Satzteile, Absatze), diese Stilfigur dient der Steigerung des Eindrucks [13. S. 82]. Vgl.: Schon war die Welt, wenn man sie so betrachtete, so ohne Suchen, so einfach, so kinderhaft. Schon war Mond und Gestirn, schon war Bach und Ufer, Wald und Fels, Ziege und Goldkafer, Blume und Schmetterling. [12: 51] Im Unterschied zur Anapher ist die Epipher (griech. „das Entgegen-tragende") die Wiederholung des Wortes oder der Wortgruppe am Ende auf-einanderfolgender Satze (Satzteile, Absatze) mit dem Ziel der Steigerung der Eindringlichkeit [11. S. 180]. Vgl.: Schon war die Welt, bunt war die Welt, seltsam und ratselhaft war die Welt! [12. S. 45] Bei dem Leitmotiv als Stilfigur handelt es sich um ein und dasselbe Element, das unregelmaBig im Text wiederkehrt, ohne an eine feste Stelle gebunden zu sein [9. S. 193]. Die Wiederholung kann dabei wortlich oder auch variiert sein. Vgl.: Wahrlich, kein Ding in der Welt hat so viel meine Gedanken beschaf-tigt wie dieses mein Ich, dies Ratsel, dafi ich lebe, dafi ich einer und von allen andern getrennt und abgesondert bin, dafi ich Siddhartha bin! Und uber kein Ding in der Welt weifi ich weniger als uber mich, uber Siddhartha! [12: 44] Als Parallelismus ist im Allgemeinen die wiederholte strukturelle Gleichheit bekannt, d.h. alle oder nur einzelne Satzglieder (Satzteile) sind formal ahnlich und stehen inhaltlich in einem Zusammenhang, was der Aus-sage eine gewisse Feierlichkeit und Ausdruckssteigerung verleiht [4. S. 64]. Der lexikalische Bestand des Satzes (Mikrotext) ist haufig beim Parallelismus unveranderlich, wenn auch nicht immer. Vgl.: Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten. [12: 62] Kame doch ein Blitz und erschluge ihn! Kame doch ein Tiger und frafie ihn! [12: 91] Der nachste Untertyp der syntaktischen Wiederholung ist die Anadip-lose, die im „Wiederaufgreifen eines schon genannten Wortes in einer neuen Aussage oder syntaktischen Verbindung" besteht [4. S. 60], was der Aussage groBeren Nachdruck verleiht. Vgl.: Am andern Morgen aber war er verschwunden. Verschwunden war auch ein kleiner, aus zweifarbigem Bast geflochtener Korb, in welchem die Fahrleute jene Kupfer- und Silbermunzen aufbewahrten, welche sie als Fahrlohn erhielten. Verschwunden war auch das Boot, Siddhartha sah es am jenseitigen Ufer liegen. [12: 129] Der Kyklos (griech. „Ring, Kreis") besteht in der Rahmenwiederho-lung: Dieselben Sprachelemente kehren am Anfang und am Ende des Satzes oder Textes wieder [9: 196]. Vgl.: Vor keinem andern mehr will ich meine Augen niederschlagen, vor keinem mehr. [12: 42] Der letzte Untertyp der Wiederholung auf der syntaktischen Ebene ist das Polysyndeton (griech. „viel(fach)" und „Verbindung"), die Reihung mehrerer Sprachelemente gleicher Kategorie, verbunden durch gleiche Kon-junktionen [11: 523]. Vgl.: Unter hochgeturmten schwarzen Haaren sah er ein sehr helles, sehr zartes, sehr kluges Gesicht, hellroten Mund wie eine frisch aufgebrochene Feige, Augenbrauen gepflegt und gemalt in hohen Bogen, dunkle Augen klug und wachsam, lichten hohen Hals aus grun und goldenem Oberkleide steigend, ruhende helle Hande lang und schmal mit breiten Goldreifen uber den Gelenken. [12: 57] Die Analyse hat gezeigt, dass „Siddhartha" reich an allen Typen und Untertypen der Wiederholungen ist (1518 Einheiten). Jedoch uberwiegen quantitativ zwei Untertypen, namlich die Anapher (460 Belege) und die Epizeuxis (422 Belege). Darauf folgen die Untertypen der syntaktischen Wiederholung wie das Polysyndeton (179), die Epipher (176) und das Leitmotiv (132). Alle anderen behandelten Stilfiguren der Wiederholung sind nur durch eine verhaltnismaBig kleine Zahl an Belegen vertreten. In abneh-mender Reihenfolge handelt es sich dabei um die folgenden: Parallelismus (48), figura etymologica (30), Polyptoton (20), Pleonasmus (15), Tautologie (14), Kyklos (9), Anadiplose (6), Alliteration (6) und Assonanz (1). Funktionen der Wiederholungen Wie schon oben erwahnt wurde, kann die Wiederholung im schon-geistigen Text nicht als uberflussig empfunden werden: Jede Wiederholung als stilistisches Mittel bringt mit sich zusatzliche Nebenbedeutungen und wirkt immer verstarkend sowohl in emotionaler als auch in logischer Bezie-hung. Eben die verstarkende Funktion ist also der Wiederholung als Stilmit-tel eigen und kann als Hauptfunktion neben der Textfunktion der Verbin-dung gesehen werden. Das ist ein standiges Merkmal der Wiederholung. Die Funktionen der Wiederholungen, die von uns in „Siddhartha" identifiziert werden konnten, konnen insgesamt folgendermaBen vorgestellt werden: 1. emotionale Intensitat und Expressivitat der Narration Es handelt sich um verschiedenartige Emotionen, Gefuhle und Ge-mutszustande der handelnden Personen und ihren Ausdruck im Text. Die Wiederholungen dienen hier oft zu einer expressiven und pointierten Aussa-ge. Vgl.: Und wenn Siddhartha einstmals ein Gott wurde, wenn er einstmals eingehen wurde zu den Strahlenden, dann wollte Govinda ihm folgen, als sein Freund, als sein Begleiter, als sein Diener, als sein Speertrager, sein Schatten. [12: 8] Dieses Textfragment ist die sogenannte uneigentlich direkte Rede, in-nerer Monolog von Govinda, dem einzigen Freund von Siddhartha, der be-reit ist, aus Liebe zu ihm, aus Treue und Begeisterung, das Schicksal des Freundes zu teilen und Vatershaus zu verlassen. In dem Monolog sind seine Gefuhle wiedergegeben - Beunruhigung und Aufregung wegen des Freundes, schlieBlich sein fester Entschluss. Die Epizeuxis (Wortwiederholung) als sein in Verbindung mit der Antiklimax (absteigende Aufzahlung, bei der jedes nachste Glied inhaltlich schwacher ist, hier Freund, Begleiter, Diener, Speertrager, Schatten) verleiht der Aussage einen starkeren Gefuhlswert und eine steigende Spannung. 2. Verzogerung der Narration (Retardation) Die Wiederholung kann auch als Mittel der Retardation auftreten, d.h. sie fordert die Verzogerung des vom Leser erwarteten Fortgangs der Hand-lung, wodurch auch die besondere Spannung erzeugt wird. Vgl.: Der Brahmane schwieg, und schwieg so lange, dafi im kleinen Fenster die Sterne wanderten und ihre Figur veranderten, ehe das Schweigen in der Kammer ein Ende fand. Stumm und regungslos stand mit gekreuzten Armen der Sohn, stumm und regungslos safi auf der Matte der Vater, und die Sterne zogen am Himmel. Da sprach der Vater... [12: 14] Dieses Textfragment beschreibt das Bild der Konfrontation zwischen Vater und Sohn: Der Vater will auf keinen Fall den Sohn gehen lassen und der Sohn hat den festen Willen, das Vatershaus zu verlassen. Die beiden bleiben beharrlich bei ihren Meinungen und keiner von ihnen will nachge-ben, so dass die Konfrontation die ganze Nacht dauert. Der Leser erlebt also die Wahrnehmung dieses langen Prozesses (es passiert ja nichts) und es wird Spannung aufgebaut. Diese Wahrnehmung wird hier durch Wiederholungen von verschiedenen Typen gefordert: Die Epizeuxis schwieg, schwieg (auch in Verbindung mit dem Temporaladverb lange), die Anapher stumm und regungslos sowie der Parallelismus (...stand, ...safi). Alles wirkt hier lang-sam und eintonig, auch der Hinweis auf die Sterne tragt auch bei und ver-starkt das gemeine Bild des Nicht-Passierens in dem Textfragment. 3. bestimmte Modalitat des Textes (Tonalitat) Die Wiederholungen sind auch fahig, dem Text eine ganze Reihe von verschiedenartigsten modalen Bedeutungen zu verleihen. Je nach Kontext sind das z.B. Feierlichkeit, Dynamik, Uberfluss, Monotonie, Harmonisierung u.a. Vgl.: Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane auf, tat Schritte hin und her, trat aus dem Hause. Durch das kleine Fenster der Kammer blickte er hinein, da sah er Siddhartha stehen, mit gekreuzten Armen, unverruckt. Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane von neuem auf, tat Schritte hin und her, trat vor das Haus, sah den Mond aufgegangen. Durch das Fenster der Kammer blickte er hinein, da stand Siddhartha, unverruckt, mit gekreuzten Armen... Und er kam wieder nach einer Stunde, und kam wieder nach zweien Stunden, blickte durchs kleine Fenster, sah Siddhartha stehen, im Mond, im Sternenschein, in der Finsternis. Und kam wieder von Stunde zu Stunde... [12: 14-15] Dies ist ein hochst interessantes Fragment im Roman, ein gutes Bei-spiel fur das hohe pragmatische Potenzial der Wiederholungen in der scho-nen Literatur im Allgemeinen. Es handelt sich hier um dieselbe Situation (s. Beleg oben). Der parallele Satzbau hat die Wirkung einer eintonigen Folge-richtigkeit. Die Anapher nach einer Stunde (zusammen mit dem Leitmotiv durch das Fenster) sowie die Tautologie hin und her fordern auch die Ver-starkung der Wiederholbarkeit der Handlung und ihrer ganzen Monotonie; in diesem Textfragment lasst sich absolut keine Dynamik nachweisen. Eine besondere Rolle spielt hier auch die polysyndetische Verbindung der Satze bzw. Satzteile durch die Konjunktionen da / und, was einerseits die Rhyth-misierung des Textes und andererseits die Stilisierung zu einer epischen Narration auslost. 4. Klarheit des Textes Die Wiederholung als Stilmittel kann auch der groBeren Klarheit des Textes dienen, dadurch lasst sich eine gewisse Nebelhaftigkeit vermieden, die Idee wird verstandlicher und der Text wirkt starker angeordnet und lo-gisch verbunden. Vgl.: Aber wo waren die Brahmanen, wo die Priester, wo die Weisen oder Bufier, denen es gelungen war, dieses tiefste Wissen nicht blofi zu wissen, sondern zu leben? [12: 11] In diesem inneren Monolog sind die Gedanken und Zweifel der Hauptperson in der Form einer rhetorischen Frage wiedergegeben. Die mehrfache und eindringliche Wiederholung des Fragewortes wo, verstarkt durch die der Klimax nahe Aufzahlung Brahmanen, Priester, Weisen, Bufier, lasst den Leser den Hauptgedanken dieses Fragments fassen: Es fehlt an dem Menschen, der dazu fahig ist. Es sei hier auch die figura etymologica Wissen wissen betont: Nicht nur Wissen an sich hat einen Wert, sondern es ist auch wichtig, nach dem Wissen leben zu konnen, Ideen einer Lehre verwirklichen zu konnen. Insgesamt verstarken alle dargestellten Figuren die Intensitat der Aussage. 5. Rhythmisierung des Textes Die rhythmusbildende Funktion ist eigentlich auch fur alle Typen von Wiederholungen gekennzeichnet, denn wie bekannt hangen die Begriffe des Rhythmus und der Wiederholung aufs engste zusammen, der Rhythmus wird immer durch eine bestimmte Art der Wiederholbarkeit geschaffen. In dieser Funktion treten viele Wiederholungsfiguren im Roman auf. Der fur Hesse in „Siddhartha" so charakteristische ruhig schwebende Rhythmus wird v.a. durch pointierte Aufzahlungen bzw. geordnete syntaktische Strukturen (verschiedene Untertypen der syntaktischen Wiederholungen) geschaffen. Vgl.: Du hast die Erlosung vom Tode gefunden. Sie ist dir geworden aus deinem eigenen Suchen, auf deinem eigenen Wege, durch Gedanken, durch Versenkung, durch Erkenntnis, durch Erleuchtung. [12: 40] Keiner sprach von dem, was heute geschehen war, keiner nannte den Namen des Knaben, keiner sprach von seiner Flucht, keiner sprach von der Wunde. [12: 133] Abgesagt hast du Heimat und Eltern, abgesagt Herkunft und Eigentum, abgesagt deinem eigenen Willen, abgesagt der Freundschaft. [12: 36-37] Alle Wiederholungen sind polyfunktional, denn sie sind fahig, gleich-zeitig mehrere Funktionen zu ubernehmen, die einen auf der Ebene des Mikrotextes, die anderen mehr auf der hoheren Ebene. Es ist allerdings schwer, eine bestimmte Korrelation zwischen dem Typ (Untertyp) der Wie-derholung und der Funktion im Text festzustellen, alle Typen konnen in vol-lem MaBe praktisch jede Funktion erledigen. Schlussfolgerung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Wiederholung als Stilmittel auf allen sprachlichen Ebenen auBert, so dass es Sinn hat, dieses Mittel nicht eng (z.B. nur im Rahmen einer Wortwiederholung u.a.) zu be-trachten, sondern im weiteren Sinne als stilistische Figur mir einem univer-sellen Charakter, zu der alle Typen der Wiederholungen zahlen. In der vor-liegenden Arbeit wurden die Wiederholungen dementsprechend moglichst detailliert (Laut-, Morphem-, Wortwiederholungen sowie syntaktische Wiederholungen) und jedoch im Rahmen einer gemeinen Figur erforscht. Diese Betrachtungsweise ist um so wichtiger fur die schone Literatur, wo die Wie-derholungen von verschiedenen Typen zusammenwirken, wo sie gezielt ei-nen Effekt, einen Eindruck beim Leser auslosen. Daraus ergibt sich als ihre Hauptfunktion im schongeistigen Text die Intensivierung, besonders im emotionalen Bereich. Anhand der religios-philosophischen Erzahlung von Hesses „Siddhartha" haben wir gezeigt, wie reich der Prosatext an Wieder-holungen sein kann (es uberwiegen die Epizeuxis und die Anapher) und ebenfalls wie reich die funktionalen Moglichkeiten der Wiederholungsfigu-ren sind. Neben emotionalen, expressiven und verschiedenen modalen Be-deutungen konnen die Wiederholungen rein textuelle Funktionen erledigen, namlich die Handlung im Text verzogern, den Text (Ideen, Gedanken im Textfragment) klarend machen oder dem Text einen bestimmten Rhythmus verleihen. Zur weiteren Erforschung der Wiederholung als Stilmittel waren folgende Fragestellungen moglich: Wie fungieren die Wiederholungen in verschiedenen Gattungen der schonen Literatur? Oder mit Schwerpunkt auf der Ubersetzung: Inwieweit werden die stilistischen Effekte der Wiederholungen beim Ubersetzen berucksichtigt und welche Probleme konnen dabei auftreten?

Ключевые слова

repetition, stylistic figure, fiction text, function, Hermann Hesse, Siddhartha

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